GV-Einladung: Wenn 20 Tage kurz werden

20 Tage vor jeder Generalversammlung hat ein Unternehmen die Traktandenliste für die anstehende Versammlung zu publizieren. Diese Frist erscheint angesichts der nicht zuletzt auch durch den Gesetzgeber intensivierten Anforderungen und Erwartungen an die Aktionäre zunehmend sehr kurz.

Im Zuge der intensiv geführten Diskussionen über gute Unternehmensführung (Corporate Governance), Entschädigungspolitik und die Stärkung der Aktionärsrechte rückt die Generalversammlung bei kotierten Unternehmen wieder stärker in den Fokus. Mit der 2014 noch freiwilligen, ab GV 2015 nun aber zwingend geforderten Umsetzung der Verordnung gegen übermässige Vergütungen (VegüV), dem darin postulierten Abstimmungszwang für Pensionskassen und der zunehmenden Bedeutung, ja Einflussnahme der unabhängigen Stimmrechtsberater wird die Generalversammlung wiederum einer der wichtigsten Termine im Kalender. Das Gesetz schreibt vor, dass die Einladung zu ordentlichen und ausserordentlichen Generalversammlungen mindestens 20 Kalendertage vor der Versammlung zu publizieren ist. Diese 20 Tage können aber gerade im Frühling angesichts der Vielzahl von nationalen und regionalen Feiertagen rasch auf deutlich weniger Arbeitstage zusammenschmelzen. Damit steigen die Herausforderungen für die Unternehmen, aber auch für Aktionäre oder Aktionärsberater – vor allem wenn man sich Rechenschaft über die anstehenden Aufgaben gibt. Mit der Umsetzung der VegüV wie auch mit der laufenden Revision des Aktienrechts sollen die Aktionärsrechte gestärkt werden. Konkret heisst dies zumindest, dass die Abstimmungsvorlagen zuhanden der Aktionäre umfassender werden. Damit steigt auch der notwendige Erklärungsbedarf zuhanden der Entscheider. Die Publikation der Traktandenliste genügt zwar dem Buchstaben des Gesetzes; Aktionäre erwarten jedoch plausibel begründete Anträge des Verwaltungsrats zu den einzelnen Verhandlungsgegenständen. Ein Blick auf die jetzt gesetzlich geforderten Angaben zur Entschädigungspolitik und die zu entrichtenden Entschädigungen an den Verwaltungsrat und die Geschäftsleitung zeigt rasch eine Vielzahl von Themen auf, die Aktionäre – und vor allem Aktionärsberater – im Vorfeld einer Generalversammlung gerne mit dem Verwaltungsrat und vor allem dessen Präsidenten diskutieren möchten. In den meisten Fällen sind derartige Diskussionen nicht fest im Unternehmenskalender etabliert, oft kennen sich die Gesprächspartner nicht mal persönlich. Wenn im Vorfeld einer Generalversammlung ein vernünftiger Dialog geführt werden soll, sind 20 Tage äusserst knapp, gerade in einer Zeit, in der eine Generalversammlung die nächste jagt. Unternehmen tun daher gut daran, die Publikationsfrist der Traktanden zur Generalversammlung freiwillig deutlich über die 20 Tage auszuweiten. Damit signalisieren sie dem Markt, dass sie für einen Dialog über Corporate Governance, Entlöhnungssysteme, die Koppelung von Leistung und Entschädigung oder bald wohl auch Frauenquoten offen sind.

Zeit, die Investor Relations Website aufzuräumen?

Jüngst noch wetteiferten die börsenkotierten Unternehmen um die beste App, die den Geschäftsbericht mobil abbildet. Aufgrund der immer grösser werdenden Flut geforderter Informationen beginnt sich der Fokus der Anleger, der institutionellen Investoren und auch der breiteren Öffentlichkeit wieder auf das Wesentliche zu richten. Worauf aber schauen Investoren?

Investoren wollen sich eine informierte Meinung darüber bilden, wie ein Unternehmen künftig Werte schafft. Sie wollen entscheiden können, ob ein Geschäftsmodell auch in der Zukunft Erfolg verspricht und ob sich daher eine Investition in dieses Unternehmen lohnt. Dies heisst nüchtern betrachtet aber vor allem, dass Anleger primär auf „zukunftsgerichtete“ Informationen schauen oder aber auf jene Aussagen achten, welche Einschätzungen zur künftigen Entwicklung eines Unternehmens erlauben.

Die meisten Websites spiegeln diese Investorensicht heute noch deutlich zu wenig. Im Bereich Investor Relations finden sich vielerorts vorab die aufgrund der Pflichten zur Aufrechterhaltung der Kotierung geforderten, rückwärtsblickenden Dokumentarchive der Finanzberichte und der Medienmitteilungen. Oft ist der Unternehmenskalender einer von wenigen zukunftsgerichteten Inhalten.

Fundierte und jeweils aktuelle Aussagen zum Geschäftsmodell, zur Strategie und deren Umsetzung oder zur Zukunftseinschätzung finden sich am ehesten in den Investorenpräsentationen. Allerdings: Längst nicht alle Unternehmen stellen diese den Anlegern online zur Verfügung. Die auf eine Präsentation folgende Diskussion mit den meist gut informierten Analysten wäre für viele Anleger etwas vom Spannendsten und Zukunftsorientiertesten, was sie auf einer IR-Website finden könnten. Doch auch hier zeigt eine kurze Rundumschau auf ausgewählten IR-Websites von Schweizer Unternehmen, dass viele Unternehmen weder die Tonspur zu den Präsentationen, geschweige denn die Aufzeichnung der nachfolgenden Frage- und Antwort-Runde zugänglich machen. Eine auf die wirklichen Informationsbedürfnisse von Investoren zugeschnittene Website bietet diesen einen aktualitätsbezogenen Zugriff auf Informationen und nicht bloss eine archivarische PDF-Wüste.

Twitter als Emittent – Twitter für Emittenten

Nun ist Twitter also an der Börse. Das furiose Debut des Micro-Blogging-Dienstes als kotiertes Unternehmen fand weltweit grosse Beachtung. Wie andere Social-Media-Plattformen auch, etwa Facebook oder Youtube, hat Twitter die Kommunikationsprozesse markant verändert sich immer mehr zu einem eigentlichen Rund-um-die-Uhr-Nachrichtenkanal entwickelt, der die herkömmlichen Kommunikationskanäle in Bedrängnis bringt und die Deutungshoheit der klassischen Gate-Keeper wie Journalisten untergräbt. Auch die Wirtschaft muss sich mit der Tatsache auseinander setzen, dass das bisherige De-Facto-Monopol der unternehmenseigenen Medien – etwa Medienmitteilungen, Newsletter, Kundenmagazine oder die Unternehmenswebseite – zur Steuerung von Information und Reputation aufgebrochen wird. Allerdings scheint sich der Bereich Kapitalmarktkommunikation/Investor Relations in der Schweiz der Dynamik der Social Media-Kanäle bis anhin weitgehend zu entziehen. Wird die grosse Resonanz des Twitter-Börsengangs die Rolle der sozialen Medien in den Investor Relations stärken? Werden Emittenten künftig vermehrt auf das relativ neue Instrumentarium setzen? Trotz aller Vorbehalte wie massiver Einschränkungen infolge Regulierungsvorgaben, möglichem Verlusts der Kommunikationsführung sowie Kontroll- und Deutungshoheit oder fehlender Social-Media-Affinität der Zielgruppen: Social Media lassen sich durchaus in eine IR-Strategie einbetten und Mehrwert generieren in der Kommunikation mit der Finanzgemeinde. Eine sinnvolle Ergänzung des traditionellen IR-Instrumentariums sind sie in jedem Fall. Die Schweiz hat hier sicherlich keine Vorreiterrolle inne. International betrachtet, ist Twitter die Social-Media-Plattform, die in den Investor-Relations am häufigsten benutzt wird. Komplementär eingesetzt, verhilft der Dienst mit vergleichsweise bescheidenem Aufwand den bereits über die herkömmlichen anerkannten bzw. geforderten IR-Kanälen veröffentlichten, potentiell kursrelevanten Informationen zu mehr Präsenz und Reichweite. Nicht potentiell kursrelevante Tatsachen im Sinne von Kontextinformationen über den Markt und die Branche dürfen grundsätzlich ohnehin beliebig über soziale Medien verbreitet werden. Ob das Going Public von Twitter auch auf die Nutzung der Plattform als IR-Tool durch andere Emittenten rückkoppelt, bleibe dahingestellt. Unbestritten ist, dass die neuen Formen der digitalen Kommunikation das herkömmliche IR-Instrumentarium in absehbarer Zukunft gezielt ergänzen und bereichern und teilweise substituieren. Die technische Kommunikation wird dadurch entbündelt und auf mehr Kanäle verteilt. In einer immer stärker vernetzten, auf Dialog, Interaktion und Transparenz ausgerichteten Welt kann sich auch bei den Investor Relations eigentlich kein Unternehmen eine Defensivhaltung mehr leisten. Wie in anderen Feldern der Unternehmenskommunikation stehen Emittenten, die sich in diesem dynamischen Umfeld der Entwicklung verschliessen, früher oder später auf der Verliererseite.

Goldene Zeiten für Stimmrechtsberater?

Unabhängige Stimmrechtsberater oder so genannte Proxy Advisors wie die amerikanische ISS oder die Genfer Anlagestiftung Ethos sind in der Schweiz in der breiten Wahrnehmung noch ein eher neueres Phänomen. In der jüngeren Vergangenheit haben sie allerdings verschiedentlich bei Abstimmungen, die für die Emittenten negativ ausgefallen sind, bereits eine entscheidende Rolle gespielt. Die Annahme der Minder-Initiative verspricht weiteren Zulauf, verpflichtet diese doch dem Freizügigkeitsgesetz unterstellte Vorsorgeeinrichtungen, von ihren Stimmrechten aus direkt gehaltenen börsenkotierten Aktien an der Generalversammlung Gebrauch zu machen. Die schweizerischen Vorsorgeeinrichtungen, die aktuell ein Vermögen von über 625 Milliarden Franken verwalten und mit einem Volumen von rund 60 Milliarden Franken ca. 6,5% Prozent der börsenkotierten Aktien in der Schweiz halten, haben bis anhin  häufig nur eine passive Rolle wahrgenommen und ihre Stimm- und weiteren Aktionärsrechte selten ausgeübt.

Die neue, wohl ab dem Jahr 2015 geltende Stimmpflicht bezieht sich auf alle an der Generalversammlung behandelten Traktanden wie Geschäftsbericht, Jahresrechnung, Erteilung der Entlastung, Gewinnverwendung, Wahlen (Verwaltungsrat, Vergütungsausschuss, unabhängiger Stimmrechtvertreter, Revisionsstelle), Abstimmungen über fixe und variable Vergütungen usw. Dabei müssen die Pensionskassen ihre Stimmrechte im Interesse der Versicherten ausüben und sie müssen mindestens einmal jährlich in einem Bericht ihren Versicherten gegenüber Rechenschaft ablegen, wie sie ihrer Stimmpflicht nachgekommen sind.

Beschränkte Ressourcen und Expertise
Was heisst nun konkret „im Interesse ihrer Versicherten“? Eine hohe Dividende oder die langfristige Eigenfinanzierung der Aktiengesellschaft? Erteilung der Entlastung des Verwaltungsrats oder nicht? Wahl bzw. Abwahl einzelner Mitglieder des Verwaltungsrats oder nicht? Ausüben des Bezugsrechts bei einer Kapitalerhöhung oder nicht? Rückerstattung von Kapitaleinlagen oder nachhaltige Finanzierung der Gesellschaft durch Eigenkapital?

Mit solchen (wie auch noch komplexeren) Fragen werden sich die Vorsorgeeinrichtungen also künftig vermehrt konfrontiert sehen. Eine durchschnittliche Pensionskasse hat laut Schätzungen rund 50 bis 100 Schweizer Aktientitel im Portfolio. Es ist demnach davon auszugehen, dass viele dieser Einrichtungen, vor allem die kleineren, aufgrund beschränkter Ressourcen und Expertise quantitativ und bisweilen auch materiell schlichtweg überfordert sind, sich innerhalb der relativ kurzen Zeit nach Veröffentlichung der Traktandenliste eine fundierte Meinung zu allen an den Generalversammlungen behandelten Anträgen zu bilden. Somit sind sie auf die Analyse und externe Unterstützung durch unabhängige Stimmrechtsberater angewiesen.

Markt in Bewegung
Kommen somit dank der Minder-Initiative goldene Zeiten auf die Proxy Advisors zu? Von der Hand zu weisen ist dieser Gedanke nicht. Das Interesse an solchen Dienstleistungen ist auf jeden Fall bereits gestiegen, selbst wenn dadurch zusätzliche Kosten auf die Vorsorgeeinrichtungen zukommen. Demgegenüber stehen das spezifische analytische Know-how und die Methodik, dank derer die Stimmrechtsberater die GV-Traktanden und Anträge der Emittenten im Sinne einer Best-Practice beurteilen und ihre Stimmempfehlungen unabhängig vom jeweiligen Emittenten abgeben können.

Der Schweizer Markt ist jedenfalls in Bewegung. Nicht zuletzt weil den grossen amerikanischen Playern häufig vorgeworfen wird, die lokalen Verhältnisse hierzulande zu wenig zu kennen bzw. zu beachten, versuchen sich immer mehr einheimische Stimmrechtsberater zu etablieren – neben Ethos sind dies etwa zCapital, Actares oder die neu gegründete, nicht-gewinnorientierte Stiftung Swipra –, wobei sich freilich nicht alle Anbieter gleich positionieren.

© Sensus Communication Consultants GmbH E-Mail CH-8800 Thalwil