Goldene Zeiten für Stimmrechtsberater?

Unabhängige Stimmrechtsberater oder so genannte Proxy Advisors wie die amerikanische ISS oder die Genfer Anlagestiftung Ethos sind in der Schweiz in der breiten Wahrnehmung noch ein eher neueres Phänomen. In der jüngeren Vergangenheit haben sie allerdings verschiedentlich bei Abstimmungen, die für die Emittenten negativ ausgefallen sind, bereits eine entscheidende Rolle gespielt. Die Annahme der Minder-Initiative verspricht weiteren Zulauf, verpflichtet diese doch dem Freizügigkeitsgesetz unterstellte Vorsorgeeinrichtungen, von ihren Stimmrechten aus direkt gehaltenen börsenkotierten Aktien an der Generalversammlung Gebrauch zu machen. Die schweizerischen Vorsorgeeinrichtungen, die aktuell ein Vermögen von über 625 Milliarden Franken verwalten und mit einem Volumen von rund 60 Milliarden Franken ca. 6,5% Prozent der börsenkotierten Aktien in der Schweiz halten, haben bis anhin  häufig nur eine passive Rolle wahrgenommen und ihre Stimm- und weiteren Aktionärsrechte selten ausgeübt.

Die neue, wohl ab dem Jahr 2015 geltende Stimmpflicht bezieht sich auf alle an der Generalversammlung behandelten Traktanden wie Geschäftsbericht, Jahresrechnung, Erteilung der Entlastung, Gewinnverwendung, Wahlen (Verwaltungsrat, Vergütungsausschuss, unabhängiger Stimmrechtvertreter, Revisionsstelle), Abstimmungen über fixe und variable Vergütungen usw. Dabei müssen die Pensionskassen ihre Stimmrechte im Interesse der Versicherten ausüben und sie müssen mindestens einmal jährlich in einem Bericht ihren Versicherten gegenüber Rechenschaft ablegen, wie sie ihrer Stimmpflicht nachgekommen sind.

Beschränkte Ressourcen und Expertise
Was heisst nun konkret „im Interesse ihrer Versicherten“? Eine hohe Dividende oder die langfristige Eigenfinanzierung der Aktiengesellschaft? Erteilung der Entlastung des Verwaltungsrats oder nicht? Wahl bzw. Abwahl einzelner Mitglieder des Verwaltungsrats oder nicht? Ausüben des Bezugsrechts bei einer Kapitalerhöhung oder nicht? Rückerstattung von Kapitaleinlagen oder nachhaltige Finanzierung der Gesellschaft durch Eigenkapital?

Mit solchen (wie auch noch komplexeren) Fragen werden sich die Vorsorgeeinrichtungen also künftig vermehrt konfrontiert sehen. Eine durchschnittliche Pensionskasse hat laut Schätzungen rund 50 bis 100 Schweizer Aktientitel im Portfolio. Es ist demnach davon auszugehen, dass viele dieser Einrichtungen, vor allem die kleineren, aufgrund beschränkter Ressourcen und Expertise quantitativ und bisweilen auch materiell schlichtweg überfordert sind, sich innerhalb der relativ kurzen Zeit nach Veröffentlichung der Traktandenliste eine fundierte Meinung zu allen an den Generalversammlungen behandelten Anträgen zu bilden. Somit sind sie auf die Analyse und externe Unterstützung durch unabhängige Stimmrechtsberater angewiesen.

Markt in Bewegung
Kommen somit dank der Minder-Initiative goldene Zeiten auf die Proxy Advisors zu? Von der Hand zu weisen ist dieser Gedanke nicht. Das Interesse an solchen Dienstleistungen ist auf jeden Fall bereits gestiegen, selbst wenn dadurch zusätzliche Kosten auf die Vorsorgeeinrichtungen zukommen. Demgegenüber stehen das spezifische analytische Know-how und die Methodik, dank derer die Stimmrechtsberater die GV-Traktanden und Anträge der Emittenten im Sinne einer Best-Practice beurteilen und ihre Stimmempfehlungen unabhängig vom jeweiligen Emittenten abgeben können.

Der Schweizer Markt ist jedenfalls in Bewegung. Nicht zuletzt weil den grossen amerikanischen Playern häufig vorgeworfen wird, die lokalen Verhältnisse hierzulande zu wenig zu kennen bzw. zu beachten, versuchen sich immer mehr einheimische Stimmrechtsberater zu etablieren – neben Ethos sind dies etwa zCapital, Actares oder die neu gegründete, nicht-gewinnorientierte Stiftung Swipra –, wobei sich freilich nicht alle Anbieter gleich positionieren.

© Sensus Communication Consultants GmbH E-Mail CH-8800 Thalwil