Integrated Reporting: Die Schweiz im Dornröschenschlaf?

Während sich immer mehr kotierte Unternehmen in der Schweiz dem Trend zu einer schlankeren Berichterstattung anschliessen, die sich vornehmlich auf den Pflichtteil konzentriert, kündigt sich am internationalen Horizont einer neuer Supertrend an, der diesen Pflichtteil erheblich umdefinieren könnte. Integrated Reporting soll nach dem Willen des International Integrated Reporting Council die Berichterstattung der Unternehmen revolutionieren. Das IIRC wurde im August 2010 als global agierendes und interdisziplinäres Netzwerk von der Global Reporting Initiative (GRI), dem International Accounting Standard Board (IASB) sowie von Unternehmen und den grossen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften gegründet, um ein Rahmenkonzept für die Umsetzung der integrierten Berichterstattung auszuarbeiten.

Werttreiber rücken in den Vordergrund
Der neue Standard lässt sich nicht einfach auf die Formel Integrierte Berichterstattung = Geschäftsbericht + Nachhaltigkeitsbericht reduzieren. Er will die Zusammenhänge zwischen dem finanziellen Kapital und anderen Formen des „Kapitals“ im Unternehmen aufzeigen: Produktionskapital, Humankapital, geistig-intellektuelles Kapital, natürliches und soziales Kapital. Im Idealfall kann integrierte Berichterstattung sogar ein exzellentes Managementsystem zu einer wertorientierten Unternehmensführung sein. Die integrierte Berichterstattung basiert seit der Veröffentlichung des IIRC-Diskussionspapiers im September 2011 auf fünf Grundsätzen:

  1. Der Fokus der Berichterstattung ist auf die Strategie und das Geschäftsmodell zu legen.
  2. Die Unternehmensinformationen sind nicht nur nebeneinander zu stellen, sondern erkennbar miteinander und mit dem Mehrwert zu verknüpfen.
  3. Die Berichterstattung ist durchgängig zukunftsorientiert zu gestalten.
  4. Die Berichterstattung ist flexibel an die Interessen der Stakeholder anzupassen.
  5. Zwar soll ein umfassendes Bild des Unternehmens vermittelt werden, dieses Bild soll aber auf die wesentlichen Informationen beschränkt werden.

Wozu die ganze Übung?
Die jüngsten Finanzkrisen haben das Vertrauen in die Märkte, Finanzsysteme, Aufsichtsbehörden und Regierungen nachhaltig erschüttert. Rahmenbedingungen wie Globalisierung, Dynamik der internationalen Finanzsysteme, demografischer Wandel, Ressourcenknappheit und immer komplexere Geschäftsmodelle haben dazu geführt, dass betriebswirtschaftliche Kennzahlen allein die reale Situation eines Unternehmens nicht mehr wiedergeben. Es braucht eine transparentere Unternehmensberichterstattung und neue Frühwarnsysteme. Wenn Unternehmen wieder glaubwürdig werden wollen, müssen sie mehr Transparenz schaffen und ehrlich über ihre vielfältigen Risiken informieren.

Die Regulation ist schon längst weiter
Im November 2012 veröffentlichte das IIRC den ersten Entwurf für ein Regelwerk und initiierte ein Pilotprojekt, an dem zurzeit ca. 100 Unternehmen aus aller Welt und verschiedener Branchen teilnehmen. Doch der gesellschaftliche Diskurs nach mehr gesellschaftlicher Verantwortung von Unternehmen ist seit längerem voll entbrannt. Und einige Staaten, Institutionen und internationale Organisationen sind längst dabei, die entsprechende Regulation zu erarbeiten oder haben sie schon eingeführt. In Dänemark müssen Grossunternehmen nichtfinanzielle Daten in den Geschäftsbericht aufnehmen. In Deutschland müssen Unternehmen in ihrem Lagebericht auch über nichtfinanzielle Leistungsindikatoren berichten. Die EU-Kommission berät über eine Verbesserung der Unternehmensberichterstattung, und die Vereinigung der führenden Wirtschaftsprüfer in Europa (FEE) hat inzwischen auf die Initiative des IIRC reagiert und ihrerseits Regeln zur Integrierten Berichterstattung erlassen.

Angelsachsen haben Nase vorn – wo bleibt die Schweiz?
Die meisten der bisher teilnehmenden Unternehmen stammen aus den USA, UK oder dem Commonwealth. Kontinentaleuropa ist nennenswert nur mit Unternehmen aus Skandinavien, den Niederlanden, Italien und Spanien vertreten. Aus Deutschland nehmen nur sechs Unternehmen am Pilotprogramm teil. Die Schweiz ist nur gerade mit KPMG vertreten. Immerhin gehört die Ethos Foundation zum Pilotprogramm Investor Network. Dabei hätte die Schweiz einige substanzielle Erkenntnisse beizutragen. Schon 2002 hat das Institut für nachhaltiges Management der FH Nordwestschweiz zusammen mit dem Forschungs- und Beratungszentrum «sustainresearch» in Basel ein Forschungsprojekt lanciert. Das Ergebnis war eine erste umfassende Bestandsaufnahme der integrierten Nachhaltigkeitsberichterstattung von Schweizer Unternehmen. Seitdem wertet das Institut regelmässig die Unternehmensberichterstattung in der Schweiz unter Nachhaltigkeits- bzw. unter Integrationsaspekten aus.

Es ist also gut möglich, dass die Schweiz hier einen internationalen Trend „verschläft“ und dann die Normen und Standards übernehmen muss, die in einem typischen Multistakeholder-Verfahren von den Angelsachsen durchgeboxt worden sind. Die ESG-Themen (Environmental, Social & Governance) sind längst im Mainstream der institutionellen Investoren in Europa angekommen. Grosse Pensionskassen in den Niederlanden, Grossbritannien und Skandinavien, aber auch andere namhafte institutionelle Anleger mit ESG-Portfolios subsumieren zunehmend auch Humankapital und Intellektuelles Kapital unter die ESG-Themen und geben ihren Buy-Side-Analysten und Fondsmanagern die entsprechenden Vorgaben an die Hand. Unterschreitet ein Unternehmen ein gewisses „ESG-Niveau“, dann wird in der Regel auf ein Investment verzichtet.

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