Content PR – echter Paradigmenwechsel in der Unternehmenskommunikation?

Nicht zum ersten Mal steht die Öffentlichkeitsarbeit von Unternehmen vor einem Paradigmenwechsel, von dem heute noch niemand weiss, wie weit er sich über alle Bereiche der Kommunikation ausdehnen wird. Die grossen Internetkonzerne der USA wie Amazon, Google, Facebook, Apple und Microsoft waren die Pioniere dieser Entwicklung: Sie setzen seit Jahren konsequent auf das sogenannte Content Marketing. Dabei soll die Zielgruppe mit informierenden, beratenden und unterhaltenden Inhalten angesprochen werden, um sie vom Unternehmen und seinem Leistungsangebot zu überzeugen bzw. als Kunden zu gewinnen oder zu halten. Dabei orientiert sich Content Marketing in der Ansprache und der Thematik an Fachpresse-, Beratungs- und Unterhaltungspublikationen („Story Telling“). Seine Ziele erreicht es, indem es den Inhaltsproduzenten als Experten, Berater und Entertainer profiliert, der Kompetenzen, Know-how und Wertversprechen durch den Inhalt demonstriert, statt sie nur zu behaupten.

Artenschutz und Verweigerungshaltung
Dieser Shift hat jetzt die ganze Kommunikationsindustrie erreicht und zwingt die Unternehmen zu einer Revision ihrer Kommunikation. Bis dato hat die Unternehmenskommunikation wie folgt funktioniert: Im Sinne einer One-Voice-Policy verbreitete die Kommunikationsabteilung in Medienmitteilungen, Pressekonferenzen, Broschüren und auf der eigenen Website orchestrierte Botschaften, die von den Gatekeepern, in der Regel Journalisten, aufgenommen und in redaktionellen Beiträgen an ihr Publikum bzw. die Zielgruppen weitergereicht wurden. Dieses traditionelle Modell hat aber längst seine Grenzen erreicht, nicht zuletzt weil der Personalbestand in den Redaktionen so stark abgebaut worden ist und demgegenüber die Quantität der PR-Akteure in den letzten Jahren dramatisch disproportional zugenommen hat. Die verbliebenen Redaktoren sind nicht mehr gewillt, sich von den Unternehmen vor den Karren der Produkte-PR spannen zu lassen.

Von Push zu Engage
Basierte das traditionelle Modell vor allem darauf, Botschaften indirekt zu verbreiten („Push-PR“), so hat in den vergangenen Jahren durch die Entwicklung von Internet und Mobilkommunikation das Angebot an Plattformen und Sozialen Medien exorbitant zugenommen. Entscheidend für die Unternehmen ist heute nicht mehr der indirekte Monolog mit den klassischen Gatekeepern, sondern der direkte Dialog („Push and Pull oder Engage-PR“) mit den so genannten Peers (Kunden, Blogger, Fans etc.), die dadurch zu wichtigen Influencern in den relevanten Meinungsmärkten werden.

Content Hub und Themen-Governance
Die neue Unübersichtlichkeit – Microsoft bewirtschaftet z.B. gegenwärtig fast 140 Social Media-Kanäle parallel – hat aber auch Vorzüge für Unternehmen: Sie sind nicht mehr länger nur vom Goodwill der Medien abhängig, sondern können durch ihre Corporate Website, Microsites, Blogs, Podcasts, Tweets und Facebookeinträge direkt auf vielen Kanälen mit ihren Dialoggruppen kommunizieren. Das Unternehmen wird quasi selbst zum Herausgeber von Medieninhalten und -formaten. Dies stellt eine revolutionäre Entwicklung dar, und nicht umsonst hält David Meerman Scott in seinem Bestseller fest: „You are what you publish!“.

In der Praxis bedeutet dies für die Kommunikationsabteilungen oder die beauftragten PR-Agenturen, dass sie zu einem Content Hub (auch Editorial Board genannt) werden, der in Absprache mit dem Management die relevanten Themen und Botschaften definiert („Themen-Governance“) und sie für alle Unternehmensakteure (Marketing, Sales, Supply, HR etc.) in einen geeigneten, zielgruppengerechten Content überführt („enabling“), damit jeder einzelne Unternehmensangehörige in seinem Wirkungsfeld als erfolgreicher Markenbotschafter auftreten kann.

Nur die gute Story zählt!
Die jüngsten Erfahrungen und Entwicklungen zeigen, dass diese neue Art der Kommunikation in den Meinungsmärkten durchaus dankbar aufgenommen und guter Content sogar viralisiert wird, wenn der Inhalt spannend, anschaulich, nützlich und immer stärker auch visuell aufbereitet wird. Der enorme Aufwand scheint sich zu lohnen, da vielerorts ein echter Dialog zustande kommt, der den Unternehmen im Hinblick auf die Sammlung von kundenrelevanten Daten, aber auch für den Zugriff auf innovative Lösungs- und Verbesserungsvorschläge wichtige Rückkoppelungseffekte bietet. Und Authentizität und Glaubwürdigkeit hatten sich die Public Relations seit den 50er Jahren in ihren jeweiligen Codices schon immer als höchstes Gut auf die Fahnen geschrieben, bevor unzählige Unternehmen in den letzten Jahrzehnten die Public Relations oft zur reinen Produkte-PR degradiert haben. Insofern schliesst sich vielleicht mit dem neuen Wirbel um Content PR nach Jahrzehnten wieder nur ein Kreis.

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